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Dreistufenplan zum nachhaltigen Hochwasserschutz
Naturnahe Auen sind der beste Schutz gegen Hochwasser
30. August 2013 - Das Hochwasser vom Frühsommer 2013 richtete einen verheerenden Schaden an. Der Schock sitzt bei den betroffenen Gewässeranliegern immer noch sehr tief und der materielle Schaden, den einige erlitten haben, ist immens. Katastrophen wie diese bieten aber auch Zeit für großes Theater: „Säcke schleppende Minister und große Versprechen von Politikern. Es war viel die Rede von naturnahem Hochwasserschutz. Die Worte glichen stark den Vorsätzen nach dem Hochwasser 2002. Der Umgang mit den Bächen, Flüssen und ihren Auen sah jedoch in den Jahren dazwischen ganz anders aus: Es wurden weitere Flächen versiegelt, Gewässer begradigt, Auen aufgefüllt und Landschaftselemente abgeholzt,“ stellt Martin Schmidt, Vorstandsmitglied und Gewässerexperte des NABU Thüringen, fest.
Nach Ansicht des NABU verschärfte die einseitige Umsetzung technischer Maßnahmen sowie das zaghafte Vorgehen bei der Umsetzung von naturnahem Hochwasserschutz die verheerenden Auswirkungen des Hochwassers.
Damit es jetzt nicht wieder bei den einfachen Lippenbekenntnissen der Politiker bleibt, hat der NABU Thüringen einen Stufenplan zum nachhaltigen Hochwasserschutz erstellt. „Auch in Thüringen gibt es aus unserer Sicht Defizite beim Schutz vor Hochwasser und es wird zu häufig auf technische Maßnahmen, wie zum Beispiel Gewässerausbau gesetzt. Die Wassermassen werden hierdurch im Oberlauf der Flüsse nur beschleunigt und der Pegelstand steigt im Unterlauf und dann teilweise außerhalb Thüringens künstlich in die Höhe. Was uns fehlt sind genügend Wasserrückhalteflächen in Auenbereichen“, fordert Schmidt.
Der Plan des NABU zum nachhaltigen Hochwasserschutz gliedert sich innerhalb der nächsten 50 Jahre in drei Stufen. In der ersten Stufe soll es vor allem keine Neubebauung in Überschwemmungsgebieten mehr geben, Bachbegradigungen sowie ähnliche Maßnahmen der Abflussbeschleunigung müssen gestoppt werden und es darf zu keinerlei Reduzierung von natürlichen Überflutungsbereichen mehr kommen. In den weiteren Schritten fordert der NABU unter anderem den Rückbau von Deichen, die nicht dem Schutz von Bebauung oder Infrastruktur dienen und die Etablierung von Entwicklungskorridoren entlang der Gewässer in denen eine naturnahe und eigendynamische Gewässerentwicklung Vorrang vor allen anderen Nutzungen hat. Martin Schmidt sagt: „Letztendlich brauchen unsere Flüsse wieder genügend Raum mit einer naturnahen Auenlandschaft. Nur so lässt sich Hochwasserschutz langfristig kosteneffizient verwirklichen.“ Minister Reinholz hat es in der Hand mit gutem Beispiel voran zu gehen und den in Thüringen vorhandenen Planungen zu Deichrückverlegung, die erforderliche politische Rückendeckung sowie personelle und finanzielle Ausstattung zu geben.
Über drei Stufen zu nachhaltigem Hochwasserschutz
Stufe 1
Sofortige Umsetzung – Lass es laufen den Berg hinunter
- Überschwemmungsgebiete freihalten: Neubauten (Lückenbebauungen, Neuausweisungen von Bebauungsplänen, Umnutzungen mit wesentlicher Wertsteigerung) in überschwemmungsgefährdeten Bereichen sind nicht zuzulassen. Sie führen zu einer Steigerung des Schadenspotentials und als Folge der zusätzlichen Versiegelung zur Abflussbeschleunigung und damit zur Erhöhung des Hochwasserscheitels.
- Scheinbar positiven Ausbau stoppen: Technischer Gewässerausbau, wie zum Beispiel Bachbegradigungen führen zur Abflussbeschleunigung. Diese kann am Ort der Maßnahme wie an kleinen Gewässern schadlos oder scheinbar positiv sein, führt aber weiter im Unterlauf zur Verschärfung der Hochwassergefahr.
- Retentionsraum schützen: Auch die scheinbar unbedeutende Reduzierung von Retentionsraum durch Aufschüttungen im Oberlauf kleiner Gewässer führt in der Summe zu einer schleichenden Erhöhung des Schadenspotentials im Unterlauf.
- Eigendynamik zulassen: Beim Hochwasser entstandene eigendynamische Gewässerentwicklungen in der freien Landschaft bewirken meist eine Abflussverzögerung und führen zu einer Reduzierung des Hochwasserscheitels im weiteren Gewässerverlauf. Auch in das Gewässer gefallenes Totholz ist im Außenbereich zu belassen, denn es bewirkt einen dezentralen Hochwasserrückhalt.
Stufe 2
Umsetzung innerhalb von 5-10 Jahren – Ufer wem Ufer gebührt
- Entwicklungskorridore etablieren: Entlang der Gewässer ist den Gewässern begrenzter Raum zu geben, in dem eine naturnahe und eigendynamische Gewässerentwicklung Vorrang vor allen anderen Nutzungen hat. Eine flächendeckende Reduzierung der Abflussgeschwindigkeit ist außerhalb der Siedlungen erforderlich, um die Hochwasserscheitel, insbesondere in den Unterläufen der Flüsse abzuflachen. Ausnahmen sollten nur für bebaute Bereiche wie für Wohn- und Gewerbebebauung sowie für Infrastruktureinrichtungen gelten.
- Hochwasserempfindliche Nutzungen schrittweise verlegen: In den überschwemmungsgefährdeten Bereichen müssen hochwasserangepasste Nutzungen und Bewirtschaftungsweisen etabliert werden. Extensive Weidelandschaften, Wiesen, Kurzumtriebsplantagen und Parkanlagen sind wesentlich überflutungstoleranter als Äcker, Kleingärten und intensiv genutzte Sportanlagen. Die Verlegung kann zum Beispiel durch auslaufende Pachtverträge erreicht werden. Brachflächen wie beispielsweise Gewerbebrachen sollen renaturiert werden. Je nach Ausgangslage müssen Alternativstandorte entwickelt oder Entschädigungen von Land oder Bund bereitgestellt werden (z.B. über die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz).
Stufe 3
Umsetzung innerhalb von 50 Jahren – Die Aue gehört dem Fluss
- Deiche zurückbauen: Deiche, die nicht dem Schutz von Bebauung oder Infrastruktur dienen, müssen zurückgebaut oder zurückverlegt werden. Die großflächige Eindeichung von landwirtschaftlicher Nutzfläche erhöht das Schadensrisiko und Schadenspotential für bebaute Bereiche. Auf der eingedeichten Fläche ist der Schaden im Falle einer Überflutung der Deiche außerdem wesentlich größer als bei einer standortangepassten Bewirtschaftung, z.B. als Grünland. Langfristig kosteneffizient lässt sich der Hochwasserschutz insbesondere für die Unterläufe der Flüsse nur durch Wiederherstellung der Retentionsräume in den Auen erreichen. Staubecken und gesteuerte Polder sind keine Alternative, sondern können nur punktuelle Ergänzung sein.
- Technischen Hochwasserschutz punktuell ausbauen: Für die historisch gewachsenen Siedlungskerne, wie Altstädte oder Dörfer, und wichtige Infrastruktureinrichtungen können auch technische Hochwasserschutzmaßnahmen erforderlich sein. Bei neueren Siedlungserweiterungen ist die Wirtschaftlichkeit von Schutzmaßnahmen der Wirtschaftlichkeit einer Verlegung gegenüberzustellen.